Neuauflage:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Unterstützung des Wahlkampfs von Niemand, der aussichtsreichsten Kandidatin für die Europawahl 2019, hat die Anarchistische Gruppe Dortmund ihre Broschüre Gegen die Illusion der Wahlen neu herausgegeben. Der Text ist weitgehend mit der Erstausgabe von 2017 identisch, es wurden jedoch einige kleinere Aktualisierungen eingefügt.

Zum Inhaltsverzeichnis und einer pdf-Version der Broschüre geht es hier. Gedruckte Hefte gibt es im Black Pigeon.

Als kleine Leseprobe hier ein neu eingefügter Abschnitt über die bisherige Regentschaft des französischen Präsidenten Macron. Er findet sich im Kapitel Kleineres Übel (II): Elend des Antifaschismus mit dem Stimmzettel.

Der „Antifaschist“ Emmanuel Macron oder die Vergeblichkeit des „Wählens gegen Rechts“

Wenn unsere Hypothese stimmt, dass faschistisches Denken eine falsche Reaktion auf reale Widersprüche der liberal-kapitalistischen Ordnung ist, so ist es eine schlechte antifaschistische Strategie, eben diese Ordnung zu verteidigen. 2017 hat der liberale Kandidat Macron die französische Präsidentschaftswahl gewonnen – wobei viele Wähler*innen ihm nur ihre Stimme gegeben haben, um die Faschistin Le Pen zu verhindern. Welche Folgen hatte diese antifaschistisch motivierte Wahl?

Als eine seiner ersten Amtshandlungen führte Macron eine umfangreiche Arbeitsmarktreform durch, die die Rechte von Lohnabhängigen weiter beschränkte. Gleichzeitig schaffte er die Vermögenssteuer weitgehend ab, um Frankreich als Kapitalstandort attraktiver zu machen. An solchen Maßnahmen des nun allgemein als „Präsident der Reichen“ bezeichneten Macron entzündete sich im Winter 2018/2019 die machtvolle Protestbewegung der Gelbwesten. Der Staat reagierte mit brutaler Repression: Die Gummigeschosse und Tränengasgranaten der Polizei verletzten viele Demonstrant*innen schwer, es kam zu abgerissenen Händen, Verlust des Augenlichts und sogar zu Todesfällen. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet rief Frankreich Anfang März auf, Fälle „exzessiver Gewaltanwendung“ durch die Sicherheitskräfte zu untersuchen. Zudem wurde ein neues „Anti-Randalierer-Gesetz“ verabschiedet, dass die Befugnisse der Polizei erweitert.

Der „antifaschistische“ Präsident verschärfte also zunächst die gesellschaftlichen Widersprüche, die den Nährboden für faschistische Agitation ausmachen. Weiter zeigte er, wie schnell auch vermeintlich „liberale“ Regierungen zu offen gewaltsamen Formen der Herrschaftssicherung

übergehen, wenn sie durch starke soziale Bewegungen herausgefordert werden. Es braucht also nicht erst eine Le Pen an die Macht zu gelangen, damit wir es mit einem autoritären Staat zu tun bekommen! Zudem ist die Gefahr einer offen faschistischen Machtübernahme keineswegs gebannt: Die Protestbewegung hat die bestehende Herrschaft zwar weitgehend delegitimiert, aber nicht gestürzt – wenn sie sich nicht zu einer wirklich revolutionären Kraft weiterentwickelt, ist es gut möglich, dass am Ende die radikale Rechte profitiert, die sich bei den nächsten Wahlen als einzig wahre Opposition darstellen kann. Eine solche Entwicklung wird durch den widersprüchlichen Charakter der Gelbwesten selbst begünstigt, in deren Reihen naiv reformistische, nationalistische und revolutionäre Kräfte um Hegemonie kämpfen. – All dies führt die Hilflosigkeit des Antifaschismus mit dem Stimmzettel deutlich vor Augen.

Was wirklich gegen den Faschismus hilft, wäre dagegen eine Bewegung, die die Übel dieser Gesellschaft an ihrer Wurzel angreift. Wenn das Erfolgsrezept der Faschist*innen darin besteht, falsche, scheinbare Auswege aus den Widersprüchen des Kapitalismus anzubieten, müssen wir wirkliche Lösungen vorschlagen, um sie zu stoppen. Es hilft also gerade nicht, wenn radikal herrschaftskritische Gruppen ihre Ideen verleugnen, um gegenüber bürgerlichen Kräften „bündnisfähig“ zu werden – im Gegenteil, sie müssen diese Ideen so deutlich formulieren und so breit streuen, wie dies nur irgend möglich ist. Gegen die Furcht, Ausländer*innen könnten uns die Jobs wegnehmen, hilft am effektivsten eine Bewegung, die unserer Abhängigkeit von der kapitalistischen Ökonomie und ihren verdammten Jobs praktisch den Kampf ansagt.

Das Beispiel der Gelbwesten zeigt deutlich, dass ein solcher Kampf sich nicht nur gegen die Herrschenden richten darf, sondern auch innerhalb der sozialen Bewegungen selbst geführt werden muss. Andernfalls können dort schnell autoritäre Tendenzen die Oberhand gewinnen, die die bestehende Ordnung durch möglicherweise noch schlimmere Varianten der Unfreiheit ersetzen wollen. Es geht darum, einen Zustand zu beenden, in dem Faschist*innen – oder in islamischen Milieus auch Jihadist*innen – als diejenigen erscheinen, die den status quo am radikalsten herausfordern.