Bericht

Das war der anarchistische 1. Mai 2019 in Dortmund und Essen

fronttransparent 1. mai 19

Der 1. Mai fing dieses Jahr damit an, dass wir uns gemeinsam mit unseren Freund*innen von der Gruppe K und der Anarchistischen Gruppe Essen an einer Intervention auf der offiziellen Gewerkschaftsdemo in Essen beteiligten. Mit einem lautstarken Block kritisierten wir die Politik der Sozialpartnerschaft der DGB-Gewerkschaften, die darauf abzielt, die Lohnabhängigen mit ihrer Ausbeutung durch die Konzerne zu versöhnen. Die Aktion war ein Highlight auf der ansonsten langweiligen Latschdemo und hat es so auch in die Zeitung neues deutschland geschafft.

Gegen Abend ging es dann weiter mit unserer eigenen anarchistischen Demo, die mit einer Kundgebung im Dortmunder Westpark begann. Der fulminante Auftakt war eine Rede von Niemand, unserer Kandidatin für die Europawahl. Begrüßt von einer begeisterten Menge, die “Niemand! – Niemand! – Niemand!” skandierte, bahnte sich die Spitzenpolitikerin ihren Weg zum Mikro und hielt eine Rede von beachtlicher Ausgefeiltheit und Komplexität. Sie endete mit der ebenso schlichten wie einleuchtenden Wahrheit: „Erst wenn ich – also Niemand – regiere, werden wir alle frei sein!“ Daher nicht vergessen: Am 26. Mai Niemand wählen! Niemands Rede wurden von den Umstehenden sehr belustigt aufgenommen und konnte uns von Anfang an Sympathien sichern.

Weiter ging es mit einem Redebeitrag der Anarchistischen Gruppe Dortmund. Hierauf folgte eine sehr kämpferische Rede der neuen anarchokommunistischen Organisation Die Plattform. In ihr wurde darauf hingewiesen, dass wir nach wie vor in einer Klassengesellschaft leben. Die Rede endete mit einem Aufruf zur sozialen Revolution. Außerdem sprach Bernd Drücke von der Zeitschrift Graswurzelrevolution, der uns heutigen Aktivist*innen Mut machte, indem er an die Geschichte der anarchistischen Bewegung erinnerte, die in dieser Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts tausende Arbeiter*innen organisierte. Von diesem Niveau sind wir heute natürlich weit entfernt, aber der Aufschwung anarchistischer Aktivitäten der letzten Jahre gibt durchaus Hoffnung auf bessere Zeiten! Eine kleine Anekdote mag dies verdeutlichen: Einige Jugendliche, die durch den Park radelten, riefen mit Blick auf unsere Versammlung spontan: „Black Pigeon ist cool!“ – Diese Assoziation von der Kundgebung mit ihren Fahnen und Transparenten auf das anarchistische Kulturzentrum sagt einiges über die Präsenz aus, die wir mittlerweile im Kiez haben.

Nach der Kundgebung formierte sich der Demozug von rund 300 Menschen zum Loslaufen. Schon auf den ersten Metern wurde die Demo zweimal angehalten, weil sich Menschen etwas stärker vermummt hatten, als es die Polizei Dortmund erlaubt. Des Weiteren wurde aus Glasflaschen getrunken. Das war der Anfang einer Reihe von Schikanen durch die Polizei, die sich durch den ganzen Demonstrationsverlauf zog.

Anlässlich der Europawahlen stand unsere Demo dieses Jahr unter dem Motto: „Klassenkampf statt Wahlspektakel“, das auch auf unserem Fronttransparent zu lesen war. Dadurch sowie durch zahlreiche andere Transparente, Sprechchöre und Flugblätter verliehen wir unserer Überzeugung Ausdruck, dass grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen nicht durch irgendwelche Stellvertreter*innen im Parlament erreicht werden können, sondern durch kollektive und selbstorganisierte Kämpfe der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

Über die Unionstraße zog die Demonstration zur Fußgängerzone des Westenhellwegs, die allerdings aufgrund des Feiertags weitgehend menschenleer war. Dort wurde der Zug ein weiteres Mal von der Polizei gestoppt, ohne dass ein Grund erkennbar war. Im Zuge dessen wurden auch zwei Menschen aus der Demo gezogen, vermutlich wegen eines Aufnähers. Leider ging dieser Vorfall etwas unter und aufgrund von Kommunikationsproblemen wartete die Demo nicht auf die beiden.

Die Zwischenkundgebung fand direkt vor dem Hauptbahnhof statt, was der Rede der Anarchistischen Gruppe Essen sehr viel Aufmerksamkeit bescherte. Generell wurden hier auch viele Flyer zur “Wähle Niemand”-Kampagne verteilt, die von einigen Passant*innen mit Interesse aufgenommen wurden.

Danach zogen wir weiter in die Nordstadt. Auf der belebten Schützenstraße kam es zu einem weiteren unfreiwilligen Stopp. Die Polizei nahm die Personalien von zwei Leuten auf, weil auf ihren Jacken das Kürzel „ACAB“ stand, das bei böswilliger Interpretation als Beamtenbeleidigung aufgefasst werden kann. Diesmal wartete der Demonstrationszug, bis die beiden wieder freigelassen wurden. Dabei gab es solidarische Rufe von Menschen, die vor einem Café auf der Straße standen. Vereinzelt wurde jedoch auch in provokativer Absicht der Gruß der faschistischen Grauen Wölfe gezeigt.

Anschließend zogen wir in etwas engerer Marschordnung weiter und erreichten wenig später ohne weitere Zwischenfälle das Black Pigeon als Endpunkt der Demo. Dort wurden weitere Reden der FAU-Gruppe Bochum, der Schwarzen Ruhr Uni, von einem anarchistischen Tierbefreiungsaktivisten sowie einer Aktivistin des Black Pigeon Kollektivs gehalten. Wer wollte, konnte den Abend mit geselligem Miteinander mit Gulaschsuppe und Musik von Michel B., Trio Randale und dem Georgie Kollektiv ausklingen lassen.

Insgesamt fällt auf, dass die Polizei diesmal an vielen Stellen recht gereizt reagierte, obwohl die Demo im Grunde wenig Anlass zur Beanstandung bot. Dies kann im Einzelfall an Zufälligkeiten wie einer besonders pingeligen Einsatzleitung liegen. Der allgemeinere Grund ist jedoch, dass die Existenz von Menschen, die offen die Abschaffung des Staates und des Eigentums propagieren, für die Verteidiger*innen des Bestehenden an sich schon einen Skandal darstellt. Die Staatsmacht weiß auch, dass die Verbindung solcher Elemente mit anderen unzufriedenen Teilen der Bevölkerung schnell zu einer explosiven Situation führen kann, wie etwa jüngst bei der Gelbwestenbewegung in Frankreich. Die Schikanen sollen uns daher von vornherein Grenzen aufzeigen und uns einschüchtern.

In dem Maße, wie unsere Bewegung stärker wird und andererseits die gesellschaftlichen Widersprüche sich verschärfen, müssen wir uns auf ein größeres Ausmaß von Repression einstellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass wir unsere Verbindungen mit Leuten außerhalb unseres unmittelbaren Umfelds vertiefen, damit wir im Fall der Fälle nicht allein dastehen. Oder, wie es das US-amerikanische anarchistische Kollektiv Crimethinc in einem seiner Texte ausdrückte: „Wenn du die herrschende Ordnung herausfordern willst, sorge dafür, dass dich auch deine Oma unterstützen wird, wenn du von Repression betroffen bist!“

Insgesamt war der 1. Mai auch dieses Jahr ein Höhepunkt der anarchistischen Aktivitäten in und um Dortmund. Es war ein schöner und ermutigender, aber auch anstrengender Tag für uns. Zuletzt wollen wir uns herzlich für die Unterstützung durch die anderen Gruppen und Kollektive bedanken, ohne die der Tag sicherlich nicht so erfolgreich verlaufen wäre. Insbesondere erwähnen möchten wir dabei das Black Pigeon Kollektiv sowie die Anarchistische Gruppe Essen und die Schwarze Ruhr Uni Bochum. Aber auch allen anderen zahlreichen Menschen und Gruppen, die jetzt hier nicht alle aufgeführt werden können, sei ein herzliches Dankeschön ausgesprochen.