Unter dem Motto „Gegen Kapitalismus und Ausbeutung – Heraus zum Arbeiterkampftag!“ wollen Neonazis am 1. Mai 2014 in Dortmund demonstrieren. Der Aufmarsch ist nur das neueste Ereignis in einer mittlerweile bedrückend langen Reihe von Aktionen, die Dortmunder Neonazis in den letzten Jahren ohne nennenswerte Behinderungen veranstalten konnten: Bis zum Verbot des „Nationalen Widerstands Dortmund“(NWDO) im August 2012 fand jährlich am ersten Septemberwochenende der sogenannte „Nationale Antikriegstag“ statt. Wie effektiv die Arbeit der Neonazis des NWDO durch das Verbot ihrer Organisation eingeschränkt wurde, zeigte sich 2013. Sowohl am 1. Mai als auch, an alte Traditionen anknüpfend, am 31.08.2013, liefen jeweils mehrere hundert Neonazis fast vollständig ungestört und beschützt von mehreren tausend Polizist*Innen durch den Stadtteil Körne im Osten der Dortmunder Innenstadt. Organisiert wurden beide Demonstrationen von bereits seit kurz nach dem Verbot in der Partei „DIE RECHTE“ reorganisierten ehemaligen Kadern des NWDO.
Den Nazis entgegentreten…
Nachdem in den letzten Jahren alle Versuche, die Neonazis in ihrem Treiben zu stören oder gar ihre Aufmärsche zu verhindern, gescheitert sind, hoffen wir natürlich, wie jedes mal aufs Neue, dass es dieses Mal endlich anders wird, wir den Aufmarsch mit vielen, vielen Menschen effektiv be- oder vielleicht gar verhindern können. Wir freuen uns, mit Menschen auf die Straße zu gehen, mit Ihnen in Kontakt zu treten und im besten Fall gemeinsam die Nazis daran zu hindern, ihre menschenverachtende Propaganda nach außen zu tragen. Wir wissen, dass auch große Aufmärsche der Neonazis verhindert oder zumindest massiv gestört werden können, denken wir nur an den jährlichen Aufmarsch von Neonazis in Dresden und die Schwierigkeiten, die ihnen dabei von Antifaschist*Innen bereitet werden. Seit Jahren wollen Neonazis Mitte Februar in Dresden den Opfern des „alliierten Bombenterrors“ gedenken, sehen sich jedoch jedes Jahr mit vielen Tausend Menschen konfrontiert, die sich auf die Mobilisierung eines breiten antifaschistischen Bündnisses hin dem Aufmarsch in den Weg stellen. Notwendige Bedingung hierfür ist jedoch ein solidarisches Miteinander Aller, deren Ziel es ist, sich den Nazis in den Weg zu stellen.Wenn wir es nicht schaffen, unsere teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, auf welchem Weg wir dieses Ziel erreichen können, als gleichberechtigte Elemente eines gemeinsamen Kampfes gegen Rassismus, (Neo-)Faschismus, Antisemitismus und Unterdrückung anzusehen, werden wir in Dortmund weiterhin scheitern. Es kann also nicht Ziel des Tages sein, sich gegenseitig vorgehalten zu haben, wer die hehreren Ziele, die besseren Absichten oder die beste Strategie hat. Wir würden uns freuen, wenn wir am Ende des Tages sagen könnten, wir haben uns solidarisch verhalten, die Legitimität unserer verschiedenen Wege, den Nazis „in die Suppe zu spucken“, anerkannt und aufeinander aufgepasst!
…Inszenierungen und Instrumentalisierung kritisieren…
Die „große“ Dortmunder Politik und ihre Zivilgesellschaft hat die Aufmärsche der Neonazis regelmäßig genutzt, um sich selbst in Szene zu setzen. So hatten weder Friedensfeste noch Bratwurstessen jemals den Anspruch, den Nazis tatsächlich die Straße und damit den Raum für Ihre Propaganda zu nehmen. Vielmehr schien das Interesse der verschiedenen AkteurInnen ein symbolischer Protest zu sein, der nicht das Ziel hat, die Neonazis effektiv anzugehen und ihnen Raum zu nehmen, sondern darauf zielt, Einzelpersonen, Organisationen oder Parteien positiv im Licht der Öffentlichkeit erscheinen zu lassen. Die vielen anderen Menschen, die sich an diesen Aktionen beteiligten, wirkten oft nur als schmückendes Beiwerk, das die Aufgabe erfüllte, den strahlenden Auftritt des Oberbürgermeisters und anderer Parteiprominenz mit dem notwendigen Applaus zu begleiten. Gleichzeitig wurden diejenigen, die versuchten, eigene Wege zu finden, sich den Nazis in den Weg zu stellen, regelmäßig von der Politik als gewalttätige ChaotInnen diskreditiert, während die Polizei alles tat, um zu verhindern, dass den Neonazis, über den gewollten symbolischen Protest hinaus, Grenzen aufgezeigt wurden. So durfte die letztjährige antifaschistische Demonstration am 1.Mai erst um Stunden verspätet und nach massiven Angriffen von Seiten der eingesetzten Hunderschaftseinheiten loslaufen. Auch kleinere Blockaden von Menschen, die es trotz massiver Polizeipräsenz in den hermetisch abgeriegelten Bereich um die Naziroute geschafft hatten, wurden schnell und unter Einsatz von massiver Gewalt geräumt. Ohne Gefahr für die eigene Person ernsthaft gegen die Neonazis zu demonstrieren, war also in den letzten Jahren nicht möglich. Uns allen, die wir ein Problem damit haben, wenn Neonazis offen und selbstbewusst Dortmund als „ihre Stadt“ bezeichnen, blieb nur, uns entweder Schlagstöcken und Pfefferspray auszusetzen, oder aber die große Politik in ihren schönen, aber nichtssagenden Reden fernab und ohne Einfluss auf den Verlauf der Naziaufmärsche zu bejubeln (oder zu bedauern). Wir möchten unsere Bemühungen nicht als politische Bühne für die Interessen Einzelner oder ihrer Parteien oder Organisationen wahrgenommen wissen. Wir alle gehen auf die Straße, weil es uns ein Bedürfnis ist, mit unseren Stimmen und unseren Bemühungen unserem eigenen Gewissen gerecht zu werden. Wir wollen den Nazis ihre Tour vermasseln und ein solidarisches Miteinander frei von Unterdrückung praktisch leben:Weil wir es wollen, nicht um einer gewissen Parteilinie oder Amtsverpflichtung gerecht zu werden.
…Rassismen aufdecken…
Wir haben die Befürchtung, dass die Nazis, anders als offizielle Stellungnahmen verkünden, in Dortmund zwar eine handfeste Bedrohung darstellen, letztlich aber nur die Spitze des Eisbergs sind. Rassismus zum Beispiel ist eben nicht nur, wenn Neonazis offen gegen Menschen hetzen oder sie angreifen, sondern durchaus auch ein Phänomen der gesellschaftlichen Mitte. Die mittlerweile seit Jahren öffentlich geführte und von Maßnahmen begleitete Debatte um die Zuwanderung von Menschen aus Südosteuropa ins Ruhrgebiet, die vor allem geprägt ist von diffusen Ängsten vor der „Kriminalität aus der Fremde“ und polemischen Ausfällen verschiedener PolitikerInnen, zeigt exemplarisch, wie sehr rassistische Vorurteile alle gesellschaftlichen Schichten durchdringen. Ständige Kontrollen und die häufig stattfindenden 24h-Einsätze der Polizei in der Dortmunder Nordstadt richten sich nicht nur vor allem gegen Menschen, denen beherzte Polizistinnen und Polizisten einen „Migrationshintergrund“ anzusehen glauben, sondern schüren auch ein Klima der Angst, womit diese Einsätze wiederum legitimiert werden. Durch die Konstruktion von so bezeichneten Problemstadtteilen, die von „kriminellen Banden“ kontrolliert werden, werden zwischen den Bewohnerinnen verschiedener Stadtteile Grenzen und Berührungsängste geschaffen. Eine Stadt, die einerseits durch ständige, entwürdigende Kontrollen Menschen aufgrund ihrer Haut- oder Haarfarbe schikaniert, und auf der anderen Seite, sozusagen um die Wehrhaftigkeit der parlamentarischen Demokratie zu beweisen, Tausende Polizist*Innen losschickt, um den Nazis reibungsfreie Aufmärsche zu ermöglichen, kommt nicht auf den Gedanken, sich mit dem eigenen institutionalisierten Rassismus zu beschäftigen. Und natürlich bewegt sich auch die Stadt Dortmund und mit ihr die herrschenden Institutionen nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil des rassistischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, das tagtäglich Menschen gegen ihren Willen in ihre vermeintlichen „Heimatländer“ abschiebt, zurück in Armut, Angst und Tod. Während einerseits Debatten um die Notwendigkeit von sogenannter qualifizierter Zuwanderung geführt werden, rüstet gleichzeitig die Europäischen Union, und damit Deutschland als eines der führenden Mitgliedsländer, weiter die Befestigungen der Außengrenzen auf, um sicherzustellen, dass nur diejenigen die EU erreichen, die sich innerhalb der kapitalistischen Maschinerie verwerten lassen. Auch in Dortmund leben Menschen, gebunden an sogenannte Flüchtlingsunterkünfte, entrechtet, arm gehalten und ohne die Möglichkeit, einen selbstbestimmten Alltag wirklich zu gestalten, in ständiger Unsicherheit darüber, wie der deutsche Staat weiter mit ihnen verfahren wird. In diesem Sinne ist Rassismus mehr als demonstrierende Neonazis, nämlich ein gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem, das es zu überwinden gilt.
…selbstbestimmt handeln!
Das Ziel, den Naziaufmarsch so effektiv wie nur möglich zu stören und gleichzeitig unter Anderem gesamtgesellschaftliche, rassistische Normalität zu kritisieren, werden wir nicht erreichen, indem wir die Spielchen der politisch Entscheidenden und der Polizei mitspielen. Wir wollen den Nazis die Möglichkeit nehmen, ihre Hetze zu verbreiten, und wir brauchen dafür keine Erlaubnis. Es liegt allein bei uns, welche Strategie und welche Mittel wir anwenden, um den Naziaufmarsch zu verhindern, ob mit vielen Menschen, lauter Musik, bunten Transparenten, Straßentheater oder feurig wie am 1.Mai 2007. Was wir jedoch nicht tun sollten, ist uns den Verlauf des Tages von den Herrschenden oder der Polizeistrategie vorschreiben zu lassen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Polizei nicht unser Freund, dafür aber de facto Helfer der Nazis ist, und wir daher nicht damit rechnen sollten, dass sie uns in unserem Anliegen unterstützen. Wenn wir die Verschiedenartigkeit unserer Taktiken als gleichberechtigt nebeneinander stehende, legitime Mittel der politischen Auseinandersetzung begreifen können und miteinander solidarisch sind, stehen nicht nur unsere Chancen, den Nazis endlich wirkungsvoll entgegenzutreten, besser. Wir leben gleichzeitig genau das, was wir uns für den Umgang der Menschen wünschen, nämlich ein solidarisches, achtsames Miteinander und den Anspruch, Gemeinsamkeiten zu finden, statt Differenzlinien, die nur allzu oft entlang rassistischer Stereotype verlaufen.
In diesem Sinne, Kommt nach vorne!
Anarchistische Gruppe Dortmund