Diskussionsbeitrag

Die „Fridays for Future“, die „Klimawahl“ und die Zukunft des „grünen“ Kapitalismus

– einige strategische Überlegungen

Die Anarchistische Gruppe Dortmund hat sich an den örtlichen Fridays-for-Future-Demos von Anfang an beteiligt. Wir haben versucht, Ideen und Impulse in die Bewegung zu tragen und dort Kompliz*innen zu finden. Im Folgenden sollen unser Engagement sowie der Charakter der Bewegung selbst beurteilt, sowie einige Schlussfolgerungen bezüglich unserer künftigen Aufgaben gezogen werden.

Unsere Interventionen auf den Fridays-for-Future-Demos

Bei fast allen Dortmunder FFF-Demos liefen Leute aus unserer Gruppe oder aus unserem Umfeld mit, trugen Transparente und Fahnen, verteilten Flyer zu unterschiedlichen Themen und diskutierten mit anderen Demoteilnehmer*innen. Wir unterstützten die Bewegung auch logistisch, indem wir eine Lautsprecheranlage zur Verfügung stellten. Im Februar veröffentlichten wir ein Flugblatt zu den Klimastreiks, das an mehreren Freitagen verteilt wurde. Wir argumentierten dort unter anderem, dass die Bewegung eine antikapitalistische Ausrichtung annehmen, sich von allen Hoffnungen auf Politiker*innen und den Staat freimachen und konsequent auf Selbstorganisation setzen müsse. Außerdem verteilten wir kleine Handzettel mit jeweils einer These oder Frage, die unter dem Motto „#wassagstdudazu?“ niedrigschwellig zum Nachdenken anregen sollten. Dabei war es uns wichtig, die Bewegung nicht zu vereinnahmen, sondern auf Augenhöhe mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Deshalb verzichteten wir – als Gruppe, in der zur Zeit kaum Schüler*innen aktiv sind – z.B. bewusst darauf, bei den Demos Redebeiträge zu halten.

Unsere Bemühungen waren durchaus erfolgreich: Wir kamen mit verschiedenen Leuten in Kontakt, die teilweise bereits von sich aus mit dem Anarchismus sympathisierten. Zu einem anarchistischen Kennenlerntreffen kamen über 20 Menschen; mit einigen von ihnen entwickelte sich eine dauerhafte Kooperation.

Die „Klimawahl“ und der Charakter der Bewegung

Zugleich müssen wir uns eingestehen, dass es uns nicht gelungen ist, den Charakter der Bewegung insgesamt entscheidend zu beeinflussen. Das gilt nicht nur für Dortmund: Die tonangebenden Leute innerhalb der bundesweiten FFF-Koordination erklärten die Europawahl Ende Mai zur „Klimawahl“ und riefen mit Slogans wie „voteforclimate“ zur Wahl von Parteien auf, die versprechen, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Führende Medien griffen diese Kampagne auf und unterstützten sie. Nicht zuletzt dank dieser außerparlamentarischen Unterstützung konnten die deutschen Grünen am 26. Mai ein für sie traumhaftes Ergebnis von 20,5% einfahren. Weit entfernt davon, sich zu einer antikapitalistischen und staatskritischen Kraft zu entwickeln, haben sich die Klimastreikenden vielmehr faktisch als Wahlhelfer*innen für eine bestimmte Fraktion der herrschenden Klasse erwiesen.

Das heißt nicht, dass wir versagt hätten: Wir haben getan, was wir konnten. In anderen Städten haben andere radikale Kräfte ähnliche Initiativen gestartet, aber insgesamt sind wir noch viel zu schwach, um gegen große gesellschaftliche Trends etwas auszurichten.

Es ist auch nicht so, dass bei den Freitagsdemos eine rebellische Basis von einer reaktionären Führung verraten worden wäre, oder dass die grüne Partei durch massive Intervention die Bewegung auf ihre Linie gebracht hätte. Solche Beinflussungsversuche hat es sicherlich gegeben; nicht umsonst fanden die lokalen Organisationstreffen für die Fridays for Future bald nicht mehr im altlinken Taranta Babu, sondern im Büro der Dortmunder Grünen statt. Aber das war nicht das Entscheidende: vielmehr war die Bewegung selbst von Anfang an relativ konformistisch. Einer ihrer Hauptslogans: „Wir streiken, bis ihr handelt“, bringt dies gut zum Ausdruck. Mit „ihr“ sind natürlich die politischen Entscheidungsträger*innen gemeint. Obwohl von der Aktionsform selbstorganisiert, sind die Streikenden in ihren Köpfen noch weitgehend der Stellvertreter*innenpolitik verhaftet. Auch in ihrer Praxis auf der Straße zeigt sich, dass die Freitagsdemontrant*innen ausgesprochen legalistisch und viel weniger zu Regelübertretungen aufgelegt sind als beispielsweise die Bildungsstreikbewegung vor zehn Jahren. So wurden etwa bei einer Dortmunder Fridays-for-Future-Demo spontan angebrachte Kreidezeichnungen auf dem Asphalt nach einfacher Aufforderung der Polizei umstandslos wieder entfernt, obwohl es unseres Wissens kein Gesetz gibt, das das Bemalen öffentlicher Straßen mit Kreide verbietet. Insgesamt zeigt sich hier einmal mehr, dass spontane Bewegungen in der Regel dazu tendieren, den herrschenden Zeitgeist zu reproduzieren und dass es konzentrierter, kollektiver Anstrengungen durch bewusstere Kräfte innerhalb oder auch außerhalb solcher Bewegungen bedarf, um daran etwas zu ändern.

Grüner“ Kapitalismus oder soziale Revolution?

Was bedeuten diese Erfahrungen für unsere künftige Praxis? Wir – Anarchist*innen, freiheitliche Kommunist*innen und andere Antiautoritäre – sollten uns daran gewöhnen, die grüne Partei sowie deren Milieu und Ideologie als einen Hauptgegner unserer politischen Bemühungen zu erkennen und anzugreifen. Zumindest hierzulande stellt dieses Spektrum die Avantgarde des modernen Kapitalismus dar. Es vertritt eine Kapitalfraktion, die erkannt hat, dass es angesichts der von der kapitalistischen Produktionsweise hervorgerufenen Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen einschneidender gesellschaftlicher Veränderungen bedarf. Veränderungen, die wohlgemerkt zu dem Zweck durchgeführt werden sollen, diese Produktionsweise auch künftig aufrecht zu erhalten. Diese Kapitalfraktion träumt davon, ihre „grünen“ Technologien gewinnbringend in alle Welt zu exportieren. Natürlich wird der „grüne“ Kapitalismus immer nur so „grün“ sein, wie es mit den Interessen der Konzerne vereinbar ist. Natürlich wird er versuchen, die Lohnabhängigen die Kosten für den gesellschaftlichen Umbau tragen zu lassen und die Unternehmen zu entlasten. Prototypisch dafür ist die geplante Erhöhung der Mineralölsteuer, die der französische Präsident Macron zur Finanzierung der Energiewende einführen wollte, wobei er gleichzeitig die Vermögenssteuer abschaffte. Und natürlich wird auch ein „grüner“ Kapitalismus nicht auf autoritäre und gewaltsame Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse verzichten können. Die Grüne Jugend mag in ihren Wahlkampfbroschüren schreiben, dass „jeder Tote im Mittelmeer […] der Lieblingsmensch eines anderen“ war und zur „Seenotrettung“ aufrufen, aber es ist klar, dass das nur billiger Reklamekitsch ist, weil auch ein künftiger grüner Bundeskanzler die Festung Europa nicht einreißen wird. Bereits vor zwanzig Jahren hat ein grüner Außenminister den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 mitverantwortet. Solche Widersprüche zwischen ökologischen, humanistischen und pazifistischen Idealen und tatsächlicher grüner Politik müssen wir herausarbeiten und in der öffentlichen Auseinandersetzung deutlich machen.

Aber auch die grüne Ideologie selbst sollten wir genauer unter die Lupe nehmen. Neben dem Apell an die Politik, doch „endlich zu handeln“, ist die Vorstellung weit verbreitet, „wir alle“ seien irgendwie „schuld am Klimawandel“ und müssten daher individuell „etwas ändern“. Der Manager, die Fabrikarbeiterin und der Obdachlose sollen also gleichermaßen ein schlechtes Gewissen wegen ihres klimaschädlichen Lebenswandels haben und ihre Konsumgewohnheiten umkrempeln. So könnten wir nach dieser Vorstellung den Planeten retten, ohne an den bestehenden Hierarchien und Eigentumsverhältnissen etwas zu ändern. – Diese Ideologie dient vor allem dazu, den Klassencharakter des Verhältnisses zur Natur zu verschleiern. Nicht individuelle Verhaltensänderungen, sondern einzig die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse kann letztlich die sich beschleunigende Umweltkatastrophe stoppen. Der Kampf gegen die Lohnarbeit und für die Aneignung der Produktion ist derselbe Kampf, der uns erst die Mittel in die Hand gibt, um kollektiv und in großem Stil andere Umgangsweisen mit der Natur zu erproben. – Solche Einsichten verhindert die „grüne“ Weltanschauung. Nebenbei ist die moralisch aufgeladene Rede vom Verzicht, den „wir alle“ zur Rettung des Weltklimas leisten müssten, auch gut geeignet, um Verschlechterungen der Lebensbedingungen der Bevölkerung zu rechtfertigen und aufkeimenden Protest als „klimafeindlichen Egoismus“ abzukanzeln.

Was die Auseinandersetzung mit der grünen Ideologie für uns so wichtig macht, ist nicht zuletzt die Tatsache, dass ihre Protagonist*innen häufig in den selben sozialen Bewegungen aktiv sind, in denen auch wir mitmischen und unsere Ideen verbreiten wollen. Dies gilt nicht nur für die Fridays for Future, sondern beispielsweise auch für antifaschistische Mobilisierungen. Der Kampf der Ideen innerhalb solcher Bewegungen muss offensiv geführt werden und darf nicht zugunsten einer falschen Einheit für „das gemeinsame Anliegen“ hintangestellt werden. Zu oft herrscht auch in unseren Kreisen die unausgesprochene Annahme, die grüne Partei, Greenpeace und artverwandte Kräfte wollten im Grunde dasselbe wie wir, nur eben etwas weniger konsequent und radikal. In Wirklichkeit gibt es kein „gemeinsames Anliegen“: wir wollen die bestehende Gesellschaftsordnung abschaffen, sie wollen sie bewahren, indem sie ihr einen grünen Anstrich verleihen. Dies gilt in dieser Klarheit zumindest für die aktiven Kader der genannten Organisationen. Die Masse der Jugendlichen, die jetzt neu in den politischen Aktivismus eintreten, ist in ihrer Orientierung alles andere als klar und festgelegt – mit diesen Leuten müssen wir ins Gespräch kommen. Dafür ist es notwendig, dass wir unsere eigenen Analysen schärfen, um die gegenwärtige Situation und ihre Kräfteverhältnisse besser zu verstehen. Dieser Text ist ein erster kleiner Beitrag zu solchen Bemühungen.

Anarchistische Gruppe Dortmund, im Juni 2019